Katastrophenstudie: Die Liste der Extremwinter (2024)

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Statistik: Die schlimmsten Winter seit 1980

Foto: Ralph Orlowski/ Getty Images

KatastrophenstudieDie Liste der Extremwinter

In Europaherrscht Dauerfrost, im Osten sind bereits Dutzende Obdachlose erfroren. Auch in Deutschland gibt es offenbar Todesopfer. Der Winter reiht sich in die extremen Kälteeinbrüche der vergangenen Jahre ein, wie ein Vergleich der Rückversicherung Munich Re zeigt.

VonSimone Utler und Jens Witte

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Hamburg - Ganz Europa bibbert, seit einigen Tagen kriecht die Kälte mit tödlichen Folgen über den Kontinent: Mehr als 120 Menschen sind dem Dauerfrost bereits zum Opfer gefallen. Allein in der Ukraine starben bislang mindestens 63 Menschen. Bei Temperaturen von stellenweise 30 Grad Celsius unter Null wird die Lage in dem osteuropäischen Land immer dramatischer. Die meisten Kälteopfer dort waren Obdachlose.

Auch in Deutschland fielen offenbar Menschen der Kälte zum Opfer. Ein 55-jähriger Obdachloser in Sachsen-Anhalt sei am Donnerstagmorgen im Freien leblos gefunden worden, teilte die Polizei mit. Die Ermittlungen zur genauen Todesursache dauern den Angaben zufolge noch an.

In Niedersachsen starb ein gehbehinderter Rentner in der Eiseskälte. Ein Spaziergänger habe die Leiche des 69-Jährigen auf einem Feldweg zwischen den Ortschaften Harderode und Bremke entdeckt, teilte die Polizei mit. Es spreche alles dafür, dass der Senior in der Nacht an Unterkühlung gestorben sei. Neben dem Toten stand dessen Rollator. Was der laut Polizei vermutlich leicht verwirrte Mann vorhatte, ist den Ermittlern bislang ein Rätsel.

In der Nacht fielen die Temperaturen an manchen Orten Deutschlands auf bis zu minus 20 Grad, teilte der Deutsche Wetterdienst mit. Und auch in den kommenden Tagen strömt kalte Luft von Osten nach Deutschland. "Es bleibt überall bei Frost", sagte Meteorologe Helmut Malewski.

Doch wie schlimm ist der Winter im Januar 2012 wirklich? Ein Vergleich zu den Kälteeinbrüchen der vergangenen Jahre ermöglicht eine aktuelle Statistik des weltgrößten Rückversicherers Munich Re. Das Unternehmen hat die schlimmsten Kältewellen Europas seit 1980 aufgelistet.

2006: 790 Menschen fallen dem Frost zum Opfer

Demnach waren Folgen der Kälte in keinem anderen Zeitraum so gravierend wie zu Beginn des Jahres 2006. Damals litt ganz Europa unter extremen Minusgraden. Im Zeitraum vom 16. Januar bis 5. Februar 2006 fielen laut Munich Re 790 Menschen der Kälte zum Opfer.

Es war das Jahr, als die Eissporthalle von Bad Reichenhall kollabierte. Das Dach war in der Mitte zusammengebrochen, eingeknickt wie ein Kartenhaus. Tagelang suchten Rettungskräfte in der eingestürzten Halle nach verschütteten Menschen, mitten im Schnee, bei eisigen Temperaturen. Die traurige Bilanz: 15 Tote, mehr als 30 Verletzte.

Die Eissporthalle war am 2. Januar 2006 eingestürzt. Nur wenige Wochen später ereignete sich eine vergleichbare Katastrophe - doch die Folgen waren noch schlimmer: Am 28. Januar brach das Dach einer Messehalle im polnischen Kattowitz ein. 63 Menschen starben, 140 wurden verletzt. Das Dach gab gegen 17.15 Uhr Ortszeit nach. Zum Zeitpunkt des Unglücks hielten sich mehrere hundert Menschen in der 100 mal 150 Meter großen Halle auf, es wurde eine Brieftauben-Ausstellung gezeigt. Gegen 19 Uhr gab dann ein weiterer Teil der zehn Meter hohen Dach-Konstruktion aus Wellblech nach.

Beide Dächer waren unter der enormen Last der Schneemassen zusammengebrochen. Der Schnee war in jenem Winter nasser - und somit schwerer als sonst. Im Bayerischen Wald galten zwischenzeitlich rund 330 Gebäude als einsturzgefährdet, auch in Österreich waren Hunderte Hausdächer vom Einsturz bedroht. Tatsächlich brachen nach dem Unglück von Bad Reichenhall weitere Hallendächer in Deutschland und Österreich ein, weitere Menschen kamen jedoch nicht ums Leben.

Katastrophenstudie: Die Liste der Extremwinter (2)

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Winter 2012: Kälte trifft Osteuropa besonders hart

Foto: STRINGER/ REUTERS

In Moskau wurde am 19. Januar 2006 mit minus 31 Grad die niedrigste Temperatur an diesem Tag seit 1927 gemessen. Innerhalb von 24 Stunden erfroren sieben Menschen. In rund zwei Wochen kamen weit über hundert Menschen in der russischen Hauptstadt ums Leben. In der nördlichen Region Jamalo-Nenezkij herrschten sogar minus 61 Grad. So kalt war es dort zuvor noch nie.

Polen erlebte den härtesten Winter seit Jahrzehnten mit Temperaturen von teilweise minus 30 Grad Celsius. Bis zum 19. Januar 2006 starben 122 Menschen wegen der extremen Kälte, 52 von ihnen waren obdachlos. In der Türkei waren von der Kälte besonders der Osten Anatoliens sowie die Schwarzmeerregion betroffen: Dort waren insgesamt 3600 Dörfer von der Außenwelt abgeschnitten. In der östlichen Provinz Bitlis kamen acht Menschen ums Leben, als ihr Bus von einer Lawine in einen Fluss gerissen wurde.

In den skandinavischen Ländern kam es bei Temperaturen von bis zu 42,6 Grad unter Null zu erheblichen Behinderungen im Flug-, Straßen- und Bahnverkehr. In Norwegen wurden bei schweren Stürmen rund 700 Gebäude beschädigt. Rund 30.000 Haushalte waren ohne Strom.

1998: U-Bahn-Stationen werden für Obdachlose geöffnet

Im Winter 2001/2002 starben in Russland laut Munich Re 382 Menschen. Allein in Moskau wurden bis Mitte Januar 300 Kältetote registriert. Mehrere Tage lang wurden Temperaturen von bis zu minus 30 Grad gemessen. Auch als es etwas wärmer wurde, zeigten die Thermometer immer noch minus zehn Grad an - also Temperaturen weit unterhalb der Grenze, die für einen Menschen ungefährlich ist.

Fast 300 Menschen kamen der Statistik zufolge zwischen Mitte November und Mitte Dezember 1998 in verschiedenen Teilen Europas während einer Kältewelle ums Leben. Besonders betroffen war Polen: Dort erfroren bei Temperaturen von bis zu minus 26 Grad Celsius laut offiziellen Angaben mehr als 140 Menschen. Dramatische Szenen spielten sich im Süden und Osten Rumäniens ab. Soldaten mussten die Insassen von rund 1700 Autos befreien, die unter den Schneemassen begraben waren. Mehr als 300 Menschen zogen sich Verletzungen zu, als sie auf eisglatten Straßen und Wegen verunglückten. In rund 300 Dörfern brach die Elektrizitätsversorgung zusammen. Bei Durchschnittstemperaturen von minus zehn Grad fielen in zahlreichen Schulen die Heizungen aus.

In Deutschland wurden für frierende Obdachlose nachts U-Bahn-Stationen geöffnet. In Frankfurt am Main setzten die Behörden einen sogenannten Wärmebus ein, um Menschen ohne Wohnsitz von der Straße zu holen. Die Messstation in Oberstdorf im Allgäu registrierte Werte von 22 Grad unter dem Gefrierpunkt. Sogar im Süden Italiens und Spaniens führten Schnee und Eis in einem der kältesten Novembermonate seit Jahren zu schweren Verkehrsbehinderungen. Bei Almería in Südostspanien, sonst eine der heißesten Gegenden des Landes, waren nach Schneestürmen zehn Dörfer von der Außenwelt abgeschnitten.

Anfang 2010 litt Großbritannien unter dem härtesten Winter seit mehr als drei Jahrzehnten. Bei Temperaturen von bis zu minus 20 Grad kamen mindestens 26 Menschen ums Leben. Der damalige Premierminister Gordon Brown sprach von einer "besorgniserregenden und frustrierenden Situation". In Europa forderte die Kältewelle im Dezember 2009 und Januar 2010 Munich Re zufolge insgesamt 280 Todesopfer, mehr als 200 von ihnen allein in Polen. Vor der finnischen Küste blieb eine Fähre mit 850 Menschen an Bord im Eis stecken. Starker Wind hatte Eisschollen in Richtung Küste gedrückt, die das Passagierschiff einklemmten.

Das Jahr 1987 begann für London mit einem Kälteschock der besonderen Art: das weltberühmte Glockenspiel des Big Ben verstummte - weil die Klanghämmerchen festgefroren waren. Der extreme Winter forderte in den ersten beiden Januarwochen des Jahres in Europa laut Munich Re mehr als 230 Tote. Betroffen waren auf dem Kontinent demnach Frankreich, Italien, Deutschland, Österreich, Skandinavien, Polen und Rumänien.

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Author: Gov. Deandrea McKenzie

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